Samstag, 11. Januar 2014

Nichts für die trüben Tage - Edith Wharton 'Ein altes Haus am Hudson River'

Eigentlich kannte ich Edith Wharton zuvor lediglich durch Martin Scorseses Film 'Zeit der Unschuld' mit Michelle Pfeiffer und dem großartigen Daniel Day-Lewis. Allerdings war ich von dem Film nur mäßig begeistert. Gesellschaftliche Zwänge und unterdrückte Sexualität in der Zeit der 'Belle Epoque', gepaart mit dem Motiv des Versagens, der verpassten Gelegenheit, der angstvoll getroffenen 'falschen' aber dennoch den Konventionen der Gesellschaft angepassten Entscheidungen. Den Film vor Augen, sah ich in Edith Wharton eine sauertöpfische, spätviktorianische Jungfer, die nicht so leben konnte, wie sie es aller Wahrscheinlichkeit nach eigentlich wollte. Dass sie aber noch bis in die 1930er Jahre als Autorin aktiv sein sollte und sich auch noch erfolgreich an der literarischen Welt des Jazz-Age und der Roaring Twenties beteiligte, war mir bislang verborgen geblieben.

Edith Whartons 'Das alte Haus am Hudson River' (Hudson River Bracketed) erschien 1929 und ist mehr oder minder ein zeitgenössischer Roman, der im Amerika der 1920er Jahre spielt. Aber ganz genauso wie in 'Zeit der Unschuld' geht es um gesellschaftliche Konventionen, die eine Verbindung zweier Liebender verhindern soll. Vance Weston ist der jugendliche und mehr oder weniger glücklose Held aus der Provinz, dessen kurvenreicher Bildungs- und Bewährungsweg zum Schriftsteller in diesem Roman aus Edith Whartons Spätwerk erzählt wird. Vance stammt aus einer typisch-amerikanisch modernen Suburb, einem Neubauvorort im Mittleren Westen mit dem sinnigen Namen 'Euphoria'. Sein Vater ist ein angesehener und erfolgreicher Immobilienspekulant, der natürlich nichts dafür übrig hat, dass sein Sohn lieber Gedichte schreiben möchte als in die väterlichen Fußstapfen zu treten. Als er zur Erholung zu Verwandten, den Tracys, geschickt wird, die in ärmlichen Verhältnissen in der ländlichen Umgebung New Yorks leben, soll er bald eine ganz andere Welt in Gestalt von Heloise Spears kennenlernen, deren Lebensweg als Teil der 'besseren Gesellschaft' zu der sie gehört, in engen Bahnen vorgezeichnet zu sein scheint.

Durch Heloise findet Vance den Weg zum alten, leerstehenden Haus am Hudson River, dessen Kern eine wohlsortierte Bibliothek der vormaligen Besitzerin bildet, ein Hort der Bildung und Gelehrsamkeit, der zur unstetigen Schule des Protagonisten werden soll, der so sehr vom Wunsch beseelt ist, einmal ein großer Autor zu werden. Die literarische Welt der amerikanischen und europäischen Klassiker blieb dem jugendlichen Helden aus dem fortschrittsbetonten Euphoria bislang verborgen und sein Besuch in der alten Bibliothek gerät so zu einem Erweckungserlebnis. Der Originaltitel des Romans (Hudson River Bracketed) ist gleichzeitig die Bezeichnung des Baustils dieses alten Hauses, das mit seinen verwinkelten Balkonen, Spitzbögenfenstern und riesigen Urnen an der Eingangstreppe um 1830 erbaut worden ist. Während die ärmlichen Tracys in dem alten Haus nach dem Rechten sehen und damit ihr kärgliches Einkommen aufbessern, residieren die Spears dagegen im jahrhundertealten Familienstammsitz mit unverbautem Blick auf den Hudson.

Schuldlos in den Verdacht geraten, Bücher aus der Bibliothek gestohlen zu haben, beschließt Vance, sein Glück in der Boomstadt New York zu versuchen, die nur eine kurze Zugfahrt entfernt liegt. Eine erste Erzählung, die Vance im Schmerz einer enttäuschten Liebe verfasst, wird ihm die Türen einer neuen und ambitionierten Literaturzeitschrift öffnen, deren Verleger schließlich niemand anderes als Heloises Ehemann sein wird, den diese auf Wunsch ihrer sonst dem Bankrott nahestehenden Eltern aus naheliegenden 'Vernunftsgründen' wählt. Hier gerät der Roman schließlich zu einer Schilderung des Lebens im Großstadtmoloch New York der Roaring Twenties. Dem Leser wird dabei sowohl die Welt der Reichen und Schönen auf der einen Seite, als auch die durch die Not erzwungene ärmliche Existenz des Protagonisten und alle daraus entstehenden Gegensätze und Konflikte bildreich vor Augen geführt. Vance ist dazu verurteilt, an seinen eigenen Prinzipien und Idealen zu scheitern. Durch seine Weigerung mit der alten Witwe Pulsifer (eine Anspielung auf Pulitzer) zu schlafen, vergibt er sich die Chance auf den wichtigsten New Yorker Literaturpreis, der zur Förderung seiner Karriere unabdingbar gewesen wäre. Natürlich hört er auf die falschen Agenten und Redakteure, die nur den Kommerz und nicht die Qualität der Literatur vor Augen haben. Dann heiratet er auch noch die falsche Frau, ein wunderschönes, aber bettelarmes, ungebildetes Mädchen, das wenig später an Schwindsucht stirbt. Natürlich wissen wir es ja schon von Anfang an. Eigentlich sollten doch Vance und Heloise zusammenkommen, aber dazu stehen sie sich selbst und (sic!) die gesellschaftlichen Konventionen im Wege.

Edith Wharton verwendet viel Zeit, um ihre Charaktere liebevoll zu formen und detailliert herauszuarbeiten. Bei aller Liebe fällt es aber dennoch schwer, sich aus heutiger Sicht mit Vance oder Eloise zu identifizieren, da es uns schwerfällt, in den Kategorien und Konventionen ihrer Zeitgenossen zu denken. Irgendwie ist es von Anfang an klar, dass Vance der 'geborene Verlierer' in dieser versnobbten New Yorker Upperclass Welt sein wird, und dass Heloise trotz aller Liebe auch nicht aus ihrem goldenen Käfig auszubrechen vermag. Da waren sie wieder, wie bei Scott F. Fitzgerald, Gatsby und seine Daisy, die Liebenden, die doch nicht zueinander finden konnten, und in ihrer Welt gefangen hingen. Allerdings wurde mir Edith Whartons Roman im Gegensatz zu Fitzgeralds großartigem Werk zum Ende hin doch en wenig zu trübsinnig und melancholisch.

Fazit: Ein großer Roman einer überaus interessanten Autorin, den es sich lohnt zu lesen. Aber Vorsicht, er dient sicherlich nicht als Lektüre zur Aufheiterung der trübgrauen Wintertage.